Der Bandenkrieg in Los Angeles eskaliert: Über 400 kriminelle Gangs mit 39.000 Mitgliedern treiben in der Millionenstadt ihr Unwesen. SPIEGEL ONLINE war mit Gang-Cop Sergeant Soltero auf Patrouille im berüchtigten Revier Hollenbeck. Beobachtungen eines aussichtslosen Kampfes.
Los Angeles - Eddie Perez ist erst elf Jahre alt, doch er kennt sich schon gut aus. "Die meisten hier gehören zur 8th Street Gang", weiß der blasse Junge. "Manchmal hängen sie bei uns zu Hause rum. Mein Dad ist auch ein Mitglied." Wobei Eddie, wie er nach kurzem Grübeln hinzufügt, seinen Dad schon länger nicht mehr gesehen hat. "Der ist seit Monaten verschwunden."
Es ist spätabends in Boyle Heights, einem Latino-Viertel in East Los Angeles, im Schatten lärmender Freeways. Es ist eine kühle Nacht und kurz vor der Ausgangssperre, die die Stadt in dieser Gegend für 22 Uhr verhängt hat, um die hier regierenden, brutalen Killergangs in den Griff zu bekommen. Trotzdem treiben sich noch viele Menschen in den Straßen herum.
Darunter auch Eddie und seine Freunde. Sie spielen lachend Fußball, im stockfinsteren Park ihrer Sozialsiedlung. Eddie trägt eine Trainingshose und ein schlabbriges T-Shirt. Aus dem Kragen baumelt ein iPod-Ohrstöpsel.
Sergeant Jesse Soltero nähert sich langsam in seinem Streifenwagen und richtet den Suchscheinwerfer auf die bleichen Gesichter der Kids. "Alles klar?", ruft er. "Langsam müsst ihr Feierabend machen." Eddie winkt ab, er kennt Sergeant Soltero. "Fühlt ihr euch sicher?", fragt Soltero. "Klar", murmelt Eddie. "Und warum?" Eddie grinst. "Wegen euch."
Drei Dutzend Gang-Morde im Revier
Nachtstreife an der härtesten Cop-Front der USA: Jesse Soltero, 46, leitet das Gang Crime Unit im Revier Hollenbeck, eine fünfköpfige Spezialeinheit für Gang-Kriminalität in East Los Angeles. Sein Bezirk umfasst die Stadtteile Boyle Heights, Lincoln Heights und El Sereno, südöstlich der Downtown am zubetonierten Los Angeles River. 40 Quadratkilometer isolierte Vorstadtwüste, rund 200.000 Einwohner, die meisten Latinos, 36 namentlich erfasste Gangs mit Tausenden Mitgliedern, 371 Straftaten allein schon im Februar, davon 92 Schwerverbrechen, inklusive vier Morde: Solteros kleine Truppe hat alle Hände voll zu tun.
"Es ist eine unendliche Geschichte", seufzt Soltero über seinen einsamen Kampf gegen die Gangs von East L.A. "Für jeden, den wir aufgreifen, wird ein Neuer rekrutiert."
Soltero lenkt seinen Ford abrupt in eine düstere Seitengasse, in der gerade eine suspekte Figur mit einer Kapuze verschwunden ist. "Schützen und dienen", steht auf seinem kugelsicher gepanzerten Streifenwagen. Angeschnallt ist Soltero jedoch nicht: "So bin ich schneller", sagt er, die rechte Hand am Holster.
Damit ist er auch gut beraten, mitten in der Gang-Haupstadt der USA. Nach Schätzung der Polizei von Los Angeles (LAPD) sind in der Stadt über 400 Gangs mit mindestens 39.000 Mitgliedern aktiv. Denen stehen 350 LAPD-Sonderbeamte gegenüber, die - wie Jesse Soltero - auf Bandenkriminalität spezialisiert sind. Kein Wunder, dass - obwohl die Zahl der schweren Straftaten 2006 im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent sank - die der Gang-Delikte im selben Zeitraum um 15 Prozent explodierte. Von 481 Morden im vorigen Jahr standen allein 272 in Zusammenhang mit Gangstreitigkeiten. Allein in Sergeant Solteros Revier ereigneten sich vergangenen Jahr drei Dutzend Gang-Morde.
So brisant ist die Lage mittlerweile, dass Bürgermeister Antonio Villaraigosa und LAPD-Chef William Bratton jetzt Alarm schlugen und eine Polizei-Offensive ausriefen. "Gangs", sagt Villaraigosa, "sind unser Staatsfeind Nummer eins."
Die meisten Gangs betreiben Drogenhandel, was zu blutigen Revierkämpfen führt. Obwohl sie letztlich alle der mexikanischen Mafia dienen, die das Drogengeschäft zentral steuert und allen Gangs dafür "Steuern" abnimmt. Sprich: Wer nicht zahlt, stirbt. Kein Wunder, dass Hollenbeck ein Pulverfass ist.
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0 ... 44,00.html
BANDENKRIEG IN L.A.
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